Die Meisterin

Wenn Licht an war, war geöffnet, war sie da, so wirkte es von weitem, aber dann waren da doch nur die Theke, die Stühle, Spiegel und Girlanden. Preisaushänge zeigten, was es kostet, gut auszusehen. Die zurechtgemachten Frauen und Männer auf den Postern lachten mich an. Alles war bereit. Sie musste wohl kurz raus und gleich zurück sein. Vielleicht ließ sie es als Effekt an. Oder sie vergaß es. Da schwang eine Tür auf. Sie trat herein. Da war die Toilette und schon war sie wieder weg. Da war auch die kleine Küche, und schon war sie wieder weg, die Waschmaschine und schon war sie wieder weg, da war ein Trockner und sie war wieder da. Sie wusch Handtücher, Umhänge und Bezüge, das eine oder andere Top oder Oberteil. Ich wendete mich ab, um nicht aufzufallen. Sobald ich wegging, fürchtete ich nicht mitzubekommen, wann sie den Laden verließ. Sie machte nicht zu, obwohl es Zeit war. Ich ging in eine andere Richtung mit derselben Sorge, aber es blieb an. Manchmal war auch alles aus. Der Stoffdekor hing wie zufällig und elegant, aber verlassen. Ich konnte ihn beinahe anfassen und hatte eine Vorstellung, wie er sich anfühlte. Die schönen Frauen und Männer auf den Plakaten lockten mich mit ihrem Lächeln. Ich fiel fast über einen Heizkörper, den ich wegen der Spiegelung auf dem Schaufenster spät entdeckte. Ich stand förmlich auf den Fliesen. Ihre Topfpflanzen. Von einer hatte sie Geschenkpapier abgestreift, um die Blätter freizulegen. Überall Dekor und Zierrat. Wann brachte sie das? Wie kam das herein? Ich hatte sie nie den Laden betreten sehen. Ich sah mich in einem Spiegel, wie ich durch das Glas hereinschaute und bildete mir ein, sie hinter der spiegelnden Scheibe an der Kasse zu sehen. Neben dem Eingang ein Poster mit einem Adonis. Auf der Rückseite eine Schönheit. Ich hielt die Hand über die Augen. Nicht, dass ich mir die Nase stieß. Die Männer und Frauen lachten. Ich lehnte mit den Handkanten am Glas, die Zeigefinger an den Stirnecken und die Daumen am Kinn. Auf einem Aufkleber der Innung las ich eine Jahreszahl. Noch nicht lange her. Meisterbetrieb. Sie ist die Meisterin! Das Preisangebot für einen Wochentag zum kennen lernen. Ich wunderte mich zunächst über denselben Namen auf allen Plakaten und über einen anderen an der Tür. Vom Hof fiel das Morgenlicht durch ein kleines vergittertes Fenster und schien die Fugen entlang. Ich entdeckte da hinten den Tisch mit den glänzenden Verpackungen der Pflegeprodukte. Ein Kopf! Nein, eine Kopfstütze. Die Spiegel gaben das Stillleben der Einrichtungsgegenstände wieder. Sie schienen umsonst angeschafft und aufgestellt worden zu sein. Hier war vorher ein Blumenladen. An der Tür hängt ein Schild, das man drehen und wenden kann, von drinnen. Die Tür war zu. Man hatte vergeblich versucht, sie aufzubrechen. Es roch nach Urin. Laut Aushang war geöffnet. Ich meinte sie weit hinter dem Glas in Bewegung zu sehen, aber das war ich, wie ich vor dem Fenster hin- und herschaute. Über Nacht wurde der Laden von einem Lichtschlauch beleuchtet, auch morgens. Er lag auf den Regalen. Aufgestützt las sie Reklame und Zeitungen, die durch ihren Türschlitz geworfen worden waren. War die Zeitschaltuhr nicht mehr richtig eingestellt? Ihre Hände hielten alles vor ihr Gesicht. Sie zog die Stoffbahn wie einen Vorhang vor das Fenster. Die lachenden Gesichter wirkten weit davor zu sein. Dunkle Stellen zeigten, dass jemand da war und schwarze, dass man daran kam. Da stand jemand auf. Ein Porträt trat zunächst an die Stelle. Ein junger Mann kam aus dem Laden und rieb sich mehrmals mit beiden Händen durchs Gesicht. Wieder kam ein Mann aus dem Laden, nein, aus dem Hausflur. Ihre Silhouette, ihr Umriss, selten mehr als ab und an ein Ellenbogen im Sonnenlicht. Nach Tagen raffte und taillierte sie den Stoff mit einer Schleife. Sie trug Schuhe mit hohen Absätzen und hantierte in der Hocke am Boden. Sie fegte etwas zusammen. Ihre Absätze wippten im Rhythmus ihrer Bewegungen. Ich verursachte fast einen Auffahrunfall und streifte beinahe einen Baum auf dem Grünstreifen. Ein andermal tupfte sie mit rhythmischen Bewegungen sehr konzentriert im Gesicht einer Kundin. Draußen auf der Leiter hatte sie Turnschuhe an und zog mit einem Abzieher die Nässe vom Glas. Als sie einer Frau mit einem Poncho mit vielen Fransen die Tür aufhielt, drehte sie mir wieder den Rücken zu. Ich wunderte mich über ihre helle Rückseite. Ein Spiegel zeigte, wie sie ihre Hände auf dem Rücken verschränkte, einen Unterschenkel anwinkelte und eine Schuhspitze auf den Boden stellte und sich anlehnte. Daher.
Ich spazierte auf der anderen Straßenseite, der Baum auf halbem Abstand zwischen uns gab mir Deckung. Ich setzte mich nicht mehr der Gefahr aus, beim Gucken von der Fahrbahn abzukommen. So gelang mir ein Blick zwischen die Aushänge. Ich erkannte Bewegung. Eine Frau zog sich den Mantel an. Sie stand mitten im Raum. Die Frau hatte den Mantel an und lächelte ihr zu. Die Arbeit war getan. Sie lächelte auch. Zwischen den beiden stand ein Mädchen, das sich den Mantel anzog. Sie hing einen Umhang auf und lächelte, bis ihr Fenster zugeparkt wurde. Ein weißer Lieferwagen stellte sich davor und warf einen Schatten darauf, ein anderes Mal ein Bagger, der die Straße aufgeriss. Beim Anfahren hatte ich Gelegenheit, sie ins Auge zu fassen. Sie schaute in meine Richtung, ohne mich zu erkennen. Die glühenden Wendeln strahlten bei schönem Wetter kein Licht aus. Ihre Stirn glänzte trotzdem. Sie saß seitlich, außerdem halb verdeckt und kaute, bestimmt in einer Hand etwas zu essen und ein Bein über dem anderen. Die weiße Perle an ihrem Ohrläppchen bewegte sich so wie sie aß. Ein Junge stand bei ihr mit auffallend kurzen Haaren als käme er vom Friseur. Sie hielt einen Besen und auf einem Kundenstuhl saß eine Frau, die den Jungen anschaute. Sie hatte ihm die Haare geschnitten. Oft agierte sie mit einem Arm. Bestimmt eine erforderliche Bewegung für die jeweilige Tätigkeit, von der ich nichts verstand.
Ein Damenfahrrad lehnte am Fallrohr. Das war mir neu. Die Ecke des Gepäckträgers kratzte am Putz des Nachbarhauses. Das Vorderrad berührte die untere Kante des Schaufensters. Ich konnte sie mir auf einem Fahrrad nicht vorstellen. Auf dem Gepäckträger war ein Einkaufskorb. Das Rad und der Korb einer Frau, die zum Markt will. Sie saß, die Ellenbogen aufgestützt und die Finger in die Luft gestreckt und unterhielt sich mit ihr. Sie stand hinter zurückgelehnten Köpfen. Strähnen reichten bis zum Rücken. Ihre Bewegung übertrug sich in Haarspitzen, die wegen der Tönung, der Beleuchtung oder der Sonne hell glänzten.
Sie wartete in einem Kundensessel, auf einem anderen die Füße übereinandergelegt, blätterte in einem Journal, hielt die Hände um ein angewinkeltes Knie und wiegte hin und her, ließ ein Bein über die Armlehne hängen und wippte mit dem Fuß. Wie die Schuhspitze rauf- und runterruckte. Sie konnte nicht alleine sein, sie saß jemandem zugewandt. Ein Mädchen klammerte sich an die Kante der Kassentheke und zog sich hoch. Sie beugte sich mit Kamm und Schere über einen Sessel. Die Frau saß in einen Umhang eingehüllt. Sie arbeitete verrenkt neben ihr. Ihr Ohrstecker funkelte. Sie streckte ihr eine Hand hin und hielt mit der anderen das Handy ans Ohr. Sie verstellte den Sitz, ohne ihre Kundin aus den Augen zu lassen. Die rechte Hand war mit einem kleinen, für mich nicht sichtbaren Werkzeug an ihrem Lid, die linke in der Luft. So hielt sie ihr Gleichgewicht. Die Kundin lag da und hatte den Kopf weit zurückgelehnt, genoss entspannt oder verharrte regungslos. Auf den Wangen einer anderen vollführten ihre Hände kleine Kreise. Ihr Pferdeschwanz hing über die Kopfstütze. Sie konzentrierte sich sehr und die Frau verfolgte alles im Spiegel. Ich musste weiter, wartete aber, bis sie abgeholt wurde. Ich sei verabredet. Als sie weg war blieb ich, um zu zeigen, dass es nicht um sie ging. An hellen Tagen schaute ich in die Fenster auf der Gegenseite, betrachtete sie als Reflexion, ohne dass ich direkt zu ihr hinschauen musste. Sie guckte in den Spiegel und rieb mit dem Finger unter ihrem Auge. Mein Plan ging für einige früher dunkel werdende Nachmittage auf, bis die Rollläden heruntergelassen wurden und den Winter über geschlossen blieben.
Der Mann, der sie regelmäßig abholte, stieg einige Schritte vom Laden entfernt im Halteverbot aus seinem Dienstwagen. Paare küssten sich und Politessen schrieben Kennzeichen auf. Er stand mit dem Rücken dazu und spielte mit dem Autoschlüssel. Sie gingen nebeneinander. Ich konnte nicht sehen, ob er ihr die Tür aufhielt. Er setzte den Blinker und ordnete sich in den Verkehr ein. Beim Abbiegen musste er warten. Verzerrte Gesichter hinter gewölbten Scheiben. Er fuhr los so lange es ging.
Da saß eine fremde Frau mit einer anderen Frisur. Sie war alleine. – Also war sie das! Sie hatte sich die Haare schneiden und tönen lassen. Sie schaute über die Kasse zu einem Friseurstuhl. Ihr Blick führte mich zu ihr. Sie bediente eine Kundin. Sie wurde fast auf mich aufmerksam. Sie schloss ihren Laden in Begleitung dieser Frau ab. Ich kann nicht sagen, welche und ob überhaupt eine von ihnen größer oder kleiner, jünger oder älter als die andere war. Waren sie Freundinnen oder Schwestern oder Mutter und Tochter und welche war welche? Sie gingen los. Obwohl es nicht meine Art ist und ich nicht darauf gefasst war, versuchte ich ihnen zu folgen. Ich verlor sie vor der nächsten Ecke und als ich abbog, kamen mir zwei Frauen in einem Sportcoupé entgegen. Mir begegnete manche, die ich für sie hielt, mal mit einem Kind oder in Begleitung anderer Personen. Ich setzte immer zum Gruß an, obwohl sie es nicht war. In einem anderen Salon war eine Friseurin, eine Kosmetikerin, die wie sie aussah. Arbeitete sie hier auch? Ein anderer hatte geschlossen. Alles war dunkel. Sie musste auch zuhaben. Das beleuchtete Fenster konnte nur von einem anderen Geschäft sein. Ihr Laden war es. Sie war es. Sie hatte auf. Sie war da. Sie schminkte die eine und die andere. Sie unterhielten sich. Sie lud mich ein Platz zu nehmen. Sie stellte mich jeder vor. Natürlich kenne ich sie. Ich sehe sie halt manchmal nicht.
Sie war zu Fuß unterwegs. Ich erkannte sie an ihrer hochgesteckten Frisur. Sie trug sie den ganzen Tag. Sie wäre mir sonst nicht aufgefallen, ich hätte sie übersehen, obwohl ich nach ihr Ausschau hielt. Sie lief auf der Straße. Ich schaute ungehindert hinter ihr her. Sie stieg in ein kleines weißes Auto, das nicht das Neuste war. Vielleicht bemerkte sie mich im Rückspiegel. Ich stellte mich in ihrer Nähe unter, tat, als würde ich auf besseres Wetter warten. Sie ging ans Fenster, schritt auf und ab und zog ihr Oberteil gerade, schaute nach draußen und verschränkte die Arme. Sie winkte, schaute mich nicht an, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit auf irgendetwas außerhalb. Sie kam mit Umhängetasche und Korb, aufgerissenen Plastiktüten und Verpackungen heraus. Sie nahm den Schlüssel, schob die Tasche auf den Rücken, setzte den Korb ab und schloss zu. Sie hielt die Tasche fest, damit sie ihr nicht nach vorne fiel und bückte sich. Ihre Lenden wurden frei. Sie trug das gleiche Unterhemd wie ich. Sie hob den Korb, zog das Sweatshirt zurecht und lief auf mich zu. Hier irgendwo musste ihr Auto stehen oder jemand auf sie warten. Mit ihren Sachen bepackt kam sie näher. Ich suchte Deckung und Sichtschutz. Sie bemerkte mich nicht. Ich umklammerte meine Schlüssel und hatte keine Sorge. Ich war nicht da, an dem Tag. Für einen Augenblick stellte ich mir vor, ich hole sie ab. Ich setzte den Blinker und ordnete mich in den Verkehr ein. Ich musste beim Abbiegen warten und war erstaunt, wie man hinter mir herschaute. Ich fuhr los. Man ließ mich nicht aus den Augen so lange es ging. Da stand ihr Auto. Ich war zu Fuß oder auf dem Fahrrad neben ihr und fuhr wie sie davon.
Klebe- und Absperrbänder bei Glas- und Einbrüchen und sonstigen Erschütterungen. Kanalsanierungen mit Stegen in die Hauseingänge, Trampelpfade und Aufschüttungen bis an die Fensterkante, Gehwegplatten zu gezackten Türmchen gestapelt, Hundehaufen, Sommergewitter, Herbst- und Frühjahrsstürme, Baumpflegemaßnahmen, Laubbläser und Schneeverwehungen, Räumfahrzeuge, Gelb- und Blaulicht, Nothelfer, Straßensperrungen und Umleitungen. Wir hatten eine gute Zeit. – Ich hatte keinen Schirm, aber Fotos von den Kindern. Die hatte sie auch. Falls sie gekommen wäre hätte ich sie angesprochen. Ein paar Worte. Ich brauchte keine Sorge haben. Ich hoffte, das Wetter würde bleiben wie es war. Ein Bekannter bremste und hielt mir die Tür auf. Mir blieb nur zu danken, als ich neben ihm saß.
Ein kleines Kind fuhr mir mit seinem Fahrrad in die Fersen. Seine frühen Fahrversuche an einem der ersten schönen Tage im Jahr. Der alte Mann, der es beaufsichtigte, der Großvater, für den ich ihn hielt, sagte nichts. Sie verließ ihren Platz und schritt auf den Winkel zu, den ich starr vor Schmerz fixierte. Vielleicht wollte sie da auf- oder umräumen; ich weiß nicht, ich meine, da gab es nichts. Wir hatten plötzlich denselben Weg, gingen nebeneinander, wie abgesprochen. Lachfalten zeigten sich um ihre Augen. Ihre Zähne glänzten. Sie hob die Hand und winkte. Sie hielt sie hoch und bewegte die Finger auf und ab, lange schmale Finger. Ich glaube, ich lächelte, ja, ich lächelte und grüßte als verstünden wir uns. So kam es mir vor. Sie setzte sich auf einen Hocker zwischen ihre Pflanzen, einem Plakat und dem Dekorstoff, die Hände zwischen den Oberschenkeln umfassten eine große weiße Tasse mit schwarzem Boden. Die Füße hatte sie auf der Heizung. Ich stützte mich mit einer Hand an ihre Scheibe, nahm sie sofort zurück, weil ich merkte, dass ich einen Abdruck auf ihrem Glas hinterließ und wischte ihn weg und sie lachte. Sie zog die Schultern zusammen und zeigte ein Frösteln. Während ich mich mit dem Unterarm am Glas über sie beugte machte sie mir klar, dass sie die ersten Sonnenstrahlen genießen wollte. Ich nickte. Als ich ging hatte ich das Gefühl, dass sie mir nachschaute, warum auch immer. Sie erblickte mich eher als ich sie, vermutlich durch das Zusammenwirken von Fenster und Spiegeln.
Ein Kahlköpfiger mit abstehenden Ohren und weißem Pullover stand bei ihr als wollten sie tanzen. Sie winkte, ohne das, was sie hielt und ich nicht erkannte aus der Hand zu legen. Ich vergaß zu grüßen. Dann spielten sie Aus - dem - Weg - gehen, dann saß er auf einem Hocker und sie stand hinter ihm. Beide winkten und lachten mir zu. Sie stützte sich auf seine Schulter und stellte eine Schuhspitze auf den Boden. Ihre Beine formten eine Vier. Sie winkte die ganze Zeit mit einem Kamm!
Ich überraschte sie, als sie telefonierte. Sie erkannte mich spät, ich hatte wegen des Wetters eine Kapuze auf. Sie hielt den Hörer ans Ohr und grüßte mit der anderen Hand so heftig, dass sie einen Ohrhänger und eine Strähne mitriss. Wie die Perle am Ende des Goldfadens schwang und sie die Strähne aus dem Gesicht strich. Den Zeigefinger krümmte sie zu einer Hühnerkralle. Ich stolperte über ihre Schwelle, eine Kante, eine Aluminiumleiste unter der Tür, zu ihr herein. Der Boden liegt höher wegen der Fliesen. Was ich machen konnte: nichts. Außer das: Einen Schritt, den nächsten folgerichtigen Schritt. Ich guckte nicht, bis ich alles begriff, was vor sich ging. Auf den Schritt kam es an, den Rhythmus, ich zögerte nicht und wich nicht zurück. Ich knibbelte von einem gebrauchten und sich in meiner Tasche zerfasernden Papiertaschentuch einen Fetzen ab und begann ein Kügelchen zu drehen. Die Beine und diese Füße. Sie führen mich zu viel Schönem. Deshalb investiere ich in sie. Ich weiß, was sie wert sind. Ich drehte das Kügelchen in der Tasche. Ich bin ihnen dankbar, deshalb gehe ich regelmäßig zur Massage, Lymphdrainage, zur Fußpflege, einmal im Monat. Ich drehte und drehte. Ich bin viel unterwegs, auch mit dem Auto. Deshalb fahre ich zur Inspektion, einmal im Jahr. Mein Blick fiel auf den Fußboden, die Fliesen und Fugen. Sie lotste mich zu einem Stuhl und warf mir einen Umhang über. Ihr Haar schien rot und ihr Gesicht grün, als sie mir die Haare kämmte. Eine Gestylte packte einem Gestylten ins Haar und setzte die Schere an und er legte den Arm um ihre Taille, auf dem Plakat. Ab und an wusch sie mir den Kopf. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich kann die endlosen Ekstasen des Verkehrs, seinen Lärm, seinen Gestank, das Stopp und Go schwer ertragen. Sie begann mit einem Elektrorasierer und machte mit einer Schere weiter. Sie war schnell fertig. Mir blieb nur zu danken, als sie nach wenigen Minuten den Spiegel hinter meinen Kopf hielt. Wenn sie einen Kunden vor sich hatte, wenn er sich zurücklehnte und ihr überließ stellte sie einen Fuß um den anderen und knickte in der Hüfte ein. Sie warf den Kopf zurück und schien zu lachen, und von ihr verdeckt vermutete ich seine Freude, dass er sie dazu gebracht hatte. Er ist weiter als ich, sind das andere auch? Muss sie sich Gemeinheiten und Obszönitäten anhören? Der Mann verließ den Salon, strich sich über die Wangen und trat vor mir auf den Gehweg. Er wollte nicht weg. Er genoss den Duft in aller Ruhe und ich merkte mir seine sauberen schwarzen Schuhe, seine schwarze Hose und sein buntes Hemd darüber. Ihre Tür blieb auf. Ihr Gesicht war geteilt, die andere Hälfte hinter der Zarge. Wir riefen uns gleichzeitig ein Hallo zu. Ich konservierte ihre Stimme, den Gleichklang und nahm mir vor, wieder hinzugehen. Er drehte sich um. Ja, du siehst gut. Er schien mich zu verstehen und kam aus dem Tritt, ging aber weiter und schaute in ein Fenster. Ich wartete an der Ampel. Er bog ab und betrachtete sich in Fenstern.
Ich gab Ruhe, mied sie, machte Umwege, ging einen Block weiter, in die Parallelstraße oder blickte von der Ecke herüber, wenn die Ampel rot war. Ich fuhr das Seitenfenster hoch und ließ sie ihr Haar schütteln, mit der Hand hindurchfahren und ohne Regung wie eine Schaufensterpuppe blicken, ein Teil der Einrichtung, ein Scherenschnitt vor diesem Hintergrund. Ich überlegte, nicht mehr hinzugehen, es sein zu lassen, mich von ihr zu trennen. Sie hatte jemanden vor sich sitzen und war beschäftigt. Ich atmete auf. Ich konnte sie sehen, ohne sie zu stören. Sie stützte ihr Kinn in die Hand und kaute an ihren Nägeln. Sie lag nach vorne gebeugt aufgestützt und brachte die Hand nicht hoch. Meine Entscheidung war richtig. Ich schnippte das Kügelchen mit einer freudigen Bewegung weg. Sie schaute nach unten; die Bewegungen ihres Scheitels zeigten, dass sie sich die Nägel feilte. Ich wendete mich im letzten Moment um. Bevor sie reagierte war ich weg. Sie ordnete Pflegeprodukte auf den Glasregalen oder räumte um. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sich nach mir umdrehte. Ich starrte geradeaus. Vor ihrer Zeit wollte ich an ihrem dunklen Fenster vorüber. Ich freute mich darauf, sie nicht zu sehen. Sie frisierte eine Frau. Ich hatte das Gefühl, dass sie unruhig wurde und drehte mich um. Sie blickte auf. Ich reagierte nicht. Sie arbeitete weiter und schaute nicht zu mir. Auf meinem Rückweg sah ich einen Teil ihrer Stirn und ein Bein über dem anderen und eine an den Zehen hängende Sandale. Ich meinte, dass ich gerade noch wahrnahm, wie sie den Kopf vorstreckte, sich nach vorne beugte und den Fuß aufsetzte. Ein Spiegel rahmte sie ein. Sie stemmte die Hände in die Hüften. Ich hob die Hand, und sie hob ihre und hielt sie, ohne sie zu bewegen, obwohl ich irgendwie darauf wartete. Ihre Geste galt mir. Ich sollte gehen, es war ihr ernst. Ihr Anblick löste bei mir immer dieselbe Reaktion aus. Oft wurde mein Gruß nicht fertig. Als ich die Straße überquerte und die Sonne auf die Scheibe schien spürte ich ihren Blick im Nacken. Nichts als Aushänge und Spiegelungen. Unangenehm der Gedanke, dass nur sie mich sehen konnte. Das Lächeln der Schönheiten auf den Plakaten wurde für mich reiner Hohn. Vielleicht machte sie sich über mich lustig. Ihre Freundinnen lachten. Ging es anderen wie mir? Winkte sie ihnen zu? Lächelte sie? Ich wollte gar nicht darüber nachdenken. Die Spiegel wurden verstellt. Sie wird beim Putzen daran gekommen sein. Sie war mehrfach zu sehen. Immer ein wenig anders. Ich war verblüfft, dass sie mich zu der Zeit nicht interessierte. Ich schaffte es, sie tagelang nicht zu beachten. Sie sah hinter mir her. Ich war mir sicher. Ich machte wohl einen Schritt auf ihre Tür zu. Sie schien aufzustehen, um sie mir aufzuhalten. Ich hatte keine Zeit. Sie stand im Top und kurzem Rock breitbeinig auf der Schwelle, drückte die Knie durch und hielt die Hände auf dem Rücken und das Gesicht in die Sonne. Sie war doch bereits von Kopf bis Fuß braun gebrannt. Sie stellte sich in ihren Sandalen auf die Zehen, reckte den Hals und hielt die Hand über die Augen und winkte. Sie stand jedes Mal so da. Das Wetter war auch zu schön, zu der Zeit. Ich wollte auch. Als ich ansetzte winkelte sie den Arm an und schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk.
An einem blauen Auto mit Fließheck lehnte mit verschränkten Armen ein Mann. Ihr Neuer? Der Zollstock ragte aus der Hosentasche der blauen Latzhose. Hatte er bei ihr zu tun? War etwas kaputt? Vielleicht stand etwas Langwieriges im Haus an. Was auch immer. Er stand wohl auch an den Nachmittagen hier an denen ich nicht hierher ging. Ich nahm mir vor, an ihrem nächsten Ruhetag nachzuschauen. Er war nicht da. Es musste eine kurze Affäre gewesen sein. Als ihren Neuen wollte ich ihn mir nicht vorstellen. Ihr Mann konnte nicht, an dem Tag. Geschäftlich verhindert. Vielleicht war er ihr Schwager. Ihr Bruder! Ihn schien ein älterer Mann abzulösen. Er wartete in einer schwarzen Geländelimousine mit heruntergelassenem Fenster und beobachtete oder bewachte sie scheinbar. Der Mann, der sie mit dem Dienstwagen abholte, hatte den mit dem Zollstock vertrieben. So malte ich mir das aus und verwarf es, als ich es merkte. Ich hatte mal einen grauen Kastenwagen. Die selbstgebaute Campingeinrichtung konnte ich übernehmen. Ich stand hinter dem schwarzen Fahrzeug, entdeckte die Augen des Mannes im Außenspiegel und hatte zufällig beim Überqueren der Straße Blickkontakt. – Gestern wartete jemand anders, schaute aber wie all die anderen. Als ich glaubte, eine Halskette zu sehen guckte ich genauer hin. Sie schien mit der Frau Blickkontakt zu haben, sie möge hereinkommen. Und tatsächlich, die Frau stieg aus und ging zu ihr herein, fragte, ob sie ihr noch die Wimpern färben könne. Ich werde mir ihre Öffnungszeiten nie merken! Drei weiße und staubige Handwerker rauchten vor ihrer abgeschlossenen Tür. Sie waren weg und ihr Laden war immer noch zu. Ihre Glut hatten sie ausgetreten. Vermutlich stiegen sie im Halteverbot ein, aber ein Firmenwagen blieb innerhalb der Markierung vor ihrem dunklen Laden.
Ich wollte mir eine Freude machen und auf dem Rückweg nach ihr schauen. Ich hätte das schon auf dem Hinweg machen können, verschob das aber, um meine Lust zu steigern. Nun hatte ich ihren Laden zum Ziel. Ein Baugerüst stand im Weg. Am Morgen war es noch nicht da. Auf dem Dach wurde gearbeitet. Stücke von kaputten Dachpfannen und gebrochenen Ästen fielen herab. Ich wich auf die Straße aus, musste den Verkehr im Auge behalten und versuchte, in ihr Geschäft zu schauen. Ich ging an den Autos vorbei und dann frontal auf ihr Schaufenster zu. Es gab keinen anderen Weg. Da stand sie. Sie strich eine Strähne hinters Ohr. Ich grüßte, und sie erwiderte freundlich wie immer. Ich wusste danach nicht weiter. Mir fiel nichts ein. Winken, lächeln und grüßen, lächeln, grüßen und winken, grüßen, winken und lächeln. Ich konnte sie nicht länger anschauen und blickte auf ihre Fliesen. Bevor ich endlich aus ihrem Sichtfeld war, ich dachte ich käme nicht mehr heraus, blickte ich über die leeren Stühle und ihr ins Gesicht als zeigte ich ihr, dass ihr Laden schlecht lief. Die Freude war dahin. Ich ging zurück, wollte mit einem Fuß über ihre Schwelle, meinen Kopf reinstecken, legte mir Worte zurecht, über das Wetter, die ersten schönen Tage oder so etwas. Das hätte ich hinbekommen. Was hätten wir gelacht. Sie bräuchte mich nicht überreden, in einem Sessel Platz zu nehmen. Ich zählte mein Geld, würde mir den Umhang umlegen lassen, aber ihre Tür war zu und sie einfach gegangen. Sie lief an der Häuserfront entlang. Mit einer Hand hielt sie Kontakt, wie ein Elektrofahrzeug zur Oberleitung, nur seitlich. Sie hatte Gummihandschuhe an, in der einen hielt sie eine Putzmittelflasche. Sie tänzelte auf und ab, die eine Hand an der Fassade, die andere mit der Flasche, ein Drahtseilakt auf dem Bürgersteig. Sie bückte sich dabei, ab und an. Sie putzte die Fensterkante. Du bist meine Meisterin. Ja, ich bin deine Meisterin. Vielen Dank für viele glückliche Stunden! Vielen Dank für viele glückliche Jahre! Die Fassade verschluckte sie bis zum Arm, dem Gummihandschuh und der Putzmittelflasche. Sie schien damit um Hilfe zu winken. Aber die Ampel schaltete auf Rot, die Autos fuhren los, eins hupte und ich musste meinen Fuß zurücksetzen. Als ich ankam, war sie weg. Ich konnte während der Grünphase nicht halten, auch im Halteverbot war alles voll. Wenn Licht an war, war geöffnet, war sie da, aber dann waren da doch nur die Theke, die Stühle, Spiegel und Girlanden. Die Preisaushänge schrieb sie nicht mehr zu Hause am Computer und druckte sie dann aus wie früher. Sie gab sie bei einer Druckerei in Auftrag. So wirkte es von weitem. Die zurechtgemachten Frauen und Männer auf den Postern lachten mich an. Alles war bereit bis zu dem Tag, an dem sie die Leuchtschrift durch ihr Fenster schickte, die alles überstrahlte und blendete. Was wollte sie mir sagen? Wie kam sie dazu? Ich blieb stehen und lief mit der Schrift und gegen ihre Richtung. Nach oben und unten ausbrechende Bögen erzeugten Rechtecke, Quadrate, Lienen, einen hauchdünnen Strich, Werbevideos mit aufblitzendem Rand, dann Neongrelle. Wollte sie mich fernhalten? Kopfmassage, Maniküre, Augenbrauen zupfen. Willkommen und Beauty. Haarepilation mit – Hochsteckfrisur. Ich konnte damit nichts anfangen. Ihr Berufsverband, ein Vertreter empfahl Lichtreklame, sie erhielt Werbung, ein Angebot, sie las davon in einer Fachzeitschrift, es gefiel ihr auf einer Ausstellung oder Messe. Ich kannte so etwas nicht, obwohl ich herumkam, zu der Zeit. Sie war halbiert, durchtrennt wie bei einer Varietévorstellung, aber auch ober- und unterhalb der Schrift, je nach meinem Standpunkt oder Blickwinkel. Die Pflanzen und der Dekorstoff blieben unbeeinträchtigt. Die Schrift schrumpfte zur Mitte hin, schien sich auf einen Punkt zurückzuziehen. Auf einmal versprach alles wie früher zu werden, nein, ein Rudiment, ein Rätsel blieb, und dann durchsägten die Zacken alle Bewegungen und Abläufe. Nachts blieb ihr Laden dunkel, bis auf die gleißende Lichtwerbung. Morgens spiegelten sich darüber zwei Fenster. Einmal vergaß sie wohl, dass Licht auszumachen, denn die Reklame blieb eingeschaltet. Eine Zeit lang war die Ladenbeleuchtung wie früher an oder aus. Keine Laufschrift störte. Sie hatte die Leuchtreklame ausgeschaltet, sie war kaputt oder weg. Sie kehrte zu alten Zeiten zurück. Es lohnte sich nicht. Sie hatte es eingesehen. Alles war zu sehen, oder nichts. Ich atmete auf. Es war wie früher bis die Schrift aus einer Ecke kroch und alles durchstrich. Von weitem war sie ein weites Band und bewegte sich nicht. Sie hinterließ schwarze Lücken. Sie schenkten mir Spielräume für kurze Zeit, aber die grelle Schrift zerteilte immer wieder jede Freude und Hoffnung. Die Maurer, die im Eingang lehnten und rauchten, die Füße über Kreuz und die freiliegenden Stahlkappen der Arbeitsschuhe auf die Stufe stellten, störte das nicht. Vielleicht begegnete sie ihnen noch. Ich hatte nie dieses Glück. Ich stellte mir vor, wie sie ihr Platz machten, mit einem Gruß oder stumm, sie sie auf die Zigarettenstummel auf dem Boden ansprach oder auch nicht und sie sich wortlos ärgerte, dass sie das wegmachen musste, vor den ersten Kunden, sie ihr nachschauten und ihr die Laune verdarben, eine Furche in ihre Stirn gruben und der Tag für sie schlecht anfing. Ich hätte mich einmischen, aktiv werden sollen. Mit einem Lächeln oder einem Kaffee hätte sie sich bedankt und ich mir Zeit genommen, oder sie ließ sie freudig herein, froh, dass sie pünktlich waren.
Sie hatte ihren Laden seit gestern geschlossen. Oder erst heute? Ein Zettel im Fenster. Vielleicht war sie krank. Dann verdiente sie nichts. Wenn sie wartete verdiente sie auch nichts, da saß sie ein Bein über dem anderen, die Arme. Das lag am Wetter. Bei der Konkurrenz sah es nicht anders aus, aber bei Krankheit verlegte sie ihre Termine per Telefon mit matter Stimme oder per E-Mail oder SMS. Ich hatte keine Nachricht. Was, wenn sie aufgeben müsse, eines Tages, was würde aus mir, hier war, wie gesagt, früher ein Blumenladen, wer würde ihr Nachmieter, was wäre, wenn sie nicht mehr zurückkommen würde? Wo würde ich sie finden? War sie weg wegen eines Trauerfalls? Eine Vollbremsung wäre für die Drängler hinter mir unverständlich. Über die Schuldfrage und die Versicherungsproblematik wegen eines von mir herbeigeführten Auffahrunfalls wollte ich gar nicht nachdenken. Mir blieb nur, ihren Zettel morgen zu lesen, aber sie hatte zu und ich dachte nicht mehr daran, auf meinem Rückweg nahm ich an, es sei ihr freier Tag. Zu spät fiel es mir ein und ich musste mir vornehmen, morgen ihren Zettel zu lesen, sie fing halt später an als ich, und auf dem Rückweg das dunkle Fenster und die Vorstellung vom freien Tag und der Zettel und meine Sorge musste schon wieder einen Tag warten -; sie hatte Betriebsferien, sie würde wiederkommen, ich würde sie wiedersehen. Sie lächelte, als sie zurück war. Sie schien zu fragen, ob ich sie wiedererkenne. Sie wischte den Boden, bevor sie öffnete, was mir nicht neu war. Ihr ausgebleichtes Haar beeindruckte mich. Sie zeigte ihre gebräunte Schulter, oder es lag an ihrem roten T-Shirt und in Wirklichkeit war sie blond getönt, zur Abwechslung. Sie sagte schon mal, dass es nicht gehe. Dann trug sie mich ein, wenn ich wollte. Den Rabatt für einen bestimmten Tag, laut Aushang, gewährte sie mir immer. Ich wartete schon auf einem ihrer Stühle. Ihr Kunde und sie ließen sich nicht stören. Sie nahm mich ohne Termin. Ihr kleines weißes Auto stand ein wenig schräg und brav hinter dem Halteverbotsschild vor allen anderen Fahrzeugen. Sie hatte es nicht ganz bis zum Bordstein zurückgesetzt. Solange niemand seins vor ihrs ins Halteverbot stellte, führte es alle an. Mit kühlen Fingern machte sie ihre Arbeit. Die Wollmäuse auf den Fliesen waren meine Haare. Ich hatte die Brille abgelegt. Sie schien die Leute, die draußen geräuschlos vorübergingen zu grüßen oder sie schaute. Ruhige, langsame Musik. Gefällt es Ihnen? Hinter mir saß der Mann, der sie mit dem Dienstwagen abholte. Wir gründen einen Verein, einen Club, wir raufen uns zusammen und sprechen mit allen drinnen und draußen ab, wer wann warum wie oft und was es koste. Kein Reflex auf dem Glas und kein Streulicht zeigte von drinnen, was die Lichtwerbung draußen anrichtete. Ich brauche mehr Aufmerksamkeit, sagte sie. Wir waren uns einig.



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